Am Mittwoch verpennte ich den Termin beim Kieferorthopäden, und ich meine 'verpennte'. Mildernde Umstände sind gegeben, immerhin müssen gerade die Sommerferien überstanden werden, doch dort in der Praxis ist anscheinend wenig los, ohne weitere Umstände erteilte die Helfermaus einen Termin für heute zur selben Zeit. Insgesamt herrscht in Zaharztpraxen in den Ferien wohl Flaute, denn im Zuge der Neuterminierung für den Großen erfragte ich gleich einen Termin für den Kleinen bei seiner extra auf kleine Kinder spezialisierten Zahnärztin und das konnten wir schon gestern früh abhaken.
Vor dem Auftritt heute mussten die Buben noch aus dem Bett und angezogen werden, da schickte ich den Kleinen grad schnell eine Türe weiter, sich in mein Bett zu legen. Er hatte einen recht heißen Kopf, wobei es sich nicht um modischen Schnickschnack handelte. Der nächste Weg führte zum Telefon, dieses am Ohr spornte ich den Großen noch an, seine Klamöttkes überzustreifen, was er immer langsamer kann ... das muss mit den Hormonen zusammenhängen ... der AB am Ohr säuselte indessen, dass der üblicherweise kontaktierte Kinderarzt sich erdreistete, urlaubsweise die Praxis zu schließen, er empfahl einen ortsansässigen Kollegen. Die Freundesmutter des Kleinen hatte von diesem schon berichtet und so rief ich die genannte Nummer an, in Erwartung, mit einem heißen, halsschmerzigen Kind gleich auftauchen zu dürfen, doch der Gute öffnet seine heiligen Hallen erst um 9 ...
Dieser Tag schrie also nach Struktur. Und das mir, die ich genau aufeinander getimte Termine nicht ausstehen kann. Das klappt nämlich nie!
Der Kieferorthopäde war mit dem Großen relativ schnell fertig, auf dem Weg nach draußen fiel dem Großen ein, dass die Spange nicht richtig saß - das Ganze also von vorne ... schnell geht irgendwie anders ... wieder zuhause rief ich den Kinderarzt an, dessen Helfermaus gab einen Termin für 12:15 Uhr aus. ... ... ... Häh? Das Kind hatte JETZT Halsweh! ... Irgendwie überstand es auch die nächsten 2 Stunden, es ließ sich anziehen, ins Auto schieben, kutschieren und dachte auf dem Parkstreifen sogar an den Parkschein ... diesen vergesse ich häufig, nicht jedoch, wenn die gesetzestreue Brut drin steckt.
Wir enterten die Praxis. Es handelte sich um große Räumlichkeiten, etwa so, wie man sie sich in einem Altbau vorstellt. Bei näherer Betrachtung sah es so aus, als sei just an dieser Stelle früher mal eine Durchfahrt zum Hinterhof gewesen. Es sah nicht appetitlich aus.
Im Gedenken an des Bubenfreundes Mutter und im Vertrauen darauf, dass man bei Halsweh nicht so furchtbar viel verkehrt machen kann, meldete ich unsere Anwesenheit ...
Das war den Herrschaften jedenfalls völlig egal ... wir warteten ... und warteten ... und warteten ... die Kinder vor uns kamen auch nicht dran, ich überlegte, welcher Notfall den Doktor wohl aufgehalten haben mochte ... Dramas ersinnen macht Spaß ... jedenfalls eine Weile ... schließlich hieß eine vergnügte Helfermaus uns in ein Behandlungszimmer eintreten ... durch Zimmer 3 und die Glastür ... das wurde dann leicht surreal, denn hinter der Glastür verbarg sich eindeutig ein Archiv ... ein ungeordnetes Archiv ... darin einige hölzerne Kinderstühle, ein leicht gammelig anmutender Hüpfball und uralte Holzbausteine ... die Überbleibsel einer vorigen Behandlung beschreibe ich nicht, die habe ich nicht näher betrachtet ... in Zimmer 3 unterhielt sich der Doktor mit einer Mutter.
Als er zu ihr hereinflitzte - sehr schön zu beobachten durch die Glastür - fielen mir Schneeweißchen und Rosenrot ein, welche im Wald auf einen Zwerg trafen ... dieser Zwerg hatte sicher überhaupt keine Ähnlichkeit mit Herrn Doktor, trug doch dieser weder einen langen, weißen Bart noch war er klein, doch genauso hatte ich mir diesen Zwerg immer vorgestellt, halt kleiner und mit Bart dann ... und er unterhielt sich und unterhielt sich, mein Kleiner baute einige Dominoumschmeißbahnen mit den Holzbausteinen, bis ihm solche Kurzweil langweilig wurde und der Doktor unterhielt sich immer noch ... langsam puzzelte sich zusammen, dass kein Notfall den Doktor aufgehalten hatte, er nahm sich für seine Patienten Zeit ... leider, ohne diesen Umstand in seine Terminvergabe einfließen zu lassen ... schließlich hatte er die arme Nachbarsmutter genug zugebrabbelt, er verließ das Behandlungszimmer 3, leider nicht durch die Glastür in das Archiv sondern in die andere Richtung zum Zimmer 2 oder 1, das war nicht mehr zu sehen ... eine Helfermaus kam an seiner statt und bat uns vor ins Zimmer 3 ... Der kleine Bube hatte sich offenbar an sein Halsweh gewöhnt, er spielte fröhlich auf einem sehr ausgefransten Stück Spielteppich und zeigte seine Golferfähigkeiten ...
Richtig skurril wurde es, als das Telefon läutete. Diese Art Klingeln erinnerte mich an moderne Zeiten in meiner Jugend. Das konnte nicht ununtersucht bleiben, und tatsächlich fand sich ein grüner Fernsprechtischapparat.
Da musste ich das erste Mal grinsen. Die neben dem Telefon stehende Computeranlage machte einen überaus aktuellen Eindruck, doch auf irgendwelche überflüssigen Ausgaben hinsichtlich Spielzeug für die Kleinen, Sitzmöbel oder Wanddekoration legte dieser Doktor wohl keinen gesteigerten Wert ... ich wartete nun richtig gespannt. Gehörte dieser Doktor tatsächlich zu der Sorte Mensch, die rein über ihren Beruf indentifiziert werden können?
Leider enttäuschte der Gute maßlos. Er gehörte zu der Sorte Doktores, die ihre Patienten totquatschen. Nur kurz ließ er sich in seinem Redeschwall unterbrechen, meinte dauernd, er wolle nur mal kurz sagen, als ich konkret fragte, was man gegen Fieber und Halsweh tun könne, da holte er aus und fragte mich, ob ich etwas gegen Medikamente im Allgemeinen und gegen Antibiotika im Besonderen hätte ... Nun wuchs ich in der Überzeugung auf, dass moderne Medizin dazu da ist, Wewehchen wegzuzaubern ... Handauflegen funktioniert vielleicht auch, doch wenn das Halsweh da ist, dann soll das bitteschön so schnell wie möglich verschwinden ... ich guckte wohl wie Auto, jedenfalls verstand er die Botschaft, verschrieb zwei Medikamente und entließ uns, nicht ohne einen (auf)reizenden Kratzfuß ...
Grundsätzlich trage ich keine Uhr bei mir, der Anzeiger in der Wartedurchfahrt hing schief und sein Sekundenzeiger zuckte an immer derselben Stelle, so dass ich den anderen Zeigern nicht traute, und es traten Bilder vor die Augen, Bilder von Politessen, die sich über das Auto hergemacht hatten, welches seit gefühlten drei Stunden einen abgelaufenden Parkschein vorzeigte. Schnell noch die Apotheke beehrt, was heißt schnell ... die Apothekerin hatte sich offensichtlich daran gewöhnt, dass tagsüber nur ältere Leute bei ihr Besorgungen erledigten, sogar der Kartenleser für die EC-Karte verrichtete seine Tätigkeit in unendlicher Langsamkeit, während nebendran am Tisch Tena-Lady ausgiebig hinsichtlich Wirkung und Kosten diskutiert wurde ... ich wollte nach Hause ...
Und dann tatsächlich ... von Ferne schon winkte ein weißer Schein hinter dem Wischerblatt auf der Frontscheibe ... beim Näherkommen kam der Schein ein wenig abgerissen daher ... er sah auch nicht wirklich aus, wie ein Knöllchen, er ließ eine Nachricht vermuten ... dass mich jemand anhand des Fahrzeugs erkannt hatte, war eher ausgeschlossen, so lange befindet es sich noch nicht in meinem Besitze und beim Lesen dachte ich: "Du kriegst die Tür nicht zu!" ... Nachsehen brachte auch keine Besserung, vorne am Kotflügel und an der Stoßstange: dicke, schwarze Streifen, war doch so eine Sonntagsfahrerin beim Einparken daran vorbeigeprescht. Ein guter Deutscher hatte alles gesehen, er nannte noch das Kennzeichen und die Uhrzeit und beschrieb anschaulich, wie die Gute ihre Kiste in die Parklücke gedrückt hatte, sie wollte wohl rein und vergaß alles drumherum ...
Das alles passte ... einen solch heiteren Tag hatte ich schon lange nicht mehr ...
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